„Warum lernen ohne Zukunft?“ – Schülerproteste gegen Klimawandel
Geographische Bildung wichtiger denn je!
von Karl W. Hoffmann, Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Schulgeographen e. V. (VDSG)
Etwa 25 000 Schülerinnen und Schüler protestierten am 18. Januar 2019 bundesweit und in der Folge immer wieder gegen die ihrer Meinung nach unzureichenden Maßnahmen gegen den Klimawandel. Dort, wo der Klimawandel immer noch nicht offiziell ein Thema im Unterricht ist, fordern sie „Klimawandel im Lehrplan (…und) kämpfen für grundlegende Änderungen in ihrem Lehrplan“ (COLLINS & OSBORNE 06.02.2019). Angeregt von der Aktion Fridays for Future fanden sie den Mut, sich trotz möglichen unentschuldigten Fehlens im Unterricht an diesem Protest zu beteiligen und ein Zeichen zu setzen – gegen Ignoranz, faule Kompromisse…, für das Klima und damit für die Zukunft. Es gilt die Schulpflicht und zugleich die Pflicht zum Klimaschutz! Wir Erwachsenen sollten uns freuen, wenn Schülerinnen und Schüler sich kritisch äußern, politisch engagieren und bereit sind Verantwortung zu übernehmen. Das ist Grund für Optimismus!
Klimabildung ist originärer Bestandteil geographischer Bildung
Klima und Klimawandel, Witterung und Wetter, Klimazonen und Klimaschutz sind originäre Fachthemen des Geographieunterrichts, die schon seit Jahrzehnten zum einen unter naturgeographischen und zum anderen auch unter humangeographischen Gesichtspunkten behandelt werden. Neben dem Klimaschutz gewinnen Strategien und Maßnahmen zur Anpassung an die inzwischen unvermeidlichen Folgen des Klimawandels in Wissenschaft, Politik und Planung eine zunehmende Rolle (DGFG 2017).
Dem Schulfach Geographie wohnt dabei grundsätzlich ein Perspektivenwechsel inne, weil ein geographischer Blick auf die Eine Welt sowohl die ökologische, ökonomische, soziale als auch die politische Dimension bei lokaler und globaler Vernetzung integriert. Dieses konzeptionelle Verständnis und diese Art der Weltbeobachtung machen die Geographie zu einem der zentralen Fächer des 21. Jahrhunderts.
Klima und Klimawandel, Witterung und Wetter, Klimazonen und Klimaschutz eignen sich darüber hinaus zusammen u.a. mit Physik, Geschichte, Ethik und Sozialkunde auch hervorragend zum fächerübergreifenden und projektorientierten Unterricht. Ein solches Lernen und Verstehen rückt die Vielperspektivität ins Zentrum: Ausgehend vom Fächerprinzip erhalten Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, Inhalte unter variierten Aspekten bzw. von unterschiedlichen Standpunkten aus zu sehen und zu bearbeiten.
Die Geographie betrachtet die Erde als System, denkt systemisch und in Zusammenhängen, betrachtet die Welt mehrperspektivisch und vernetzend. Klimawandel und Klimaschutz werden im Geographieunterricht unter Integration unterschiedlicher Natur- und Gesellschaftswissenschaften und mit Blick auf systemische Verflechtungen bearbeitet.
Mit Blick auf die Schülerinnen und Schüler ist mit HELLER M. (2018) festzuhalten: „Die Neugierde und der ganzheitliche Blick auf die Welt müssen möglichst lange erhalten bleiben“. In dieser Neugierde und im Erlebnishunger auf die Welt steckt der Zauber der Geographie.
Bei dem Thema Klimawandel geht es nicht nur um Wissen, sondern auch um Naturerfahrungen, Artenschutz, Konsumverhalten und den gerechten Umgang mit unseren Ressourcen.
Geographische Bildung kann wie folgt umschrieben werden …
- als Wissen um die natürliche Beschaffenheit des Planeten Erde und die Wirkungen des Menschen und komplexen Wechselwirkungen auf ihm,
- als Fähigkeit die Problemstellungen der Mensch-Umwelt-Beziehung vernetzend zu betrachten und auf lokaler, regionaler oder globaler Ebene zu bewerten,
- als Haltung, entsprechend diesem Wissen und dieser Fähigkeit, menschliche Denk- und Handlungsweisen zu beurteilen und das eigene Leben und den Lebensraum sinnvoll und nachhaltiger (mit) zu gestalten.
Bereits im Unterricht der Grundschulen müssten Schülerinnen und Schülern an Beispielen erfahren können, dass nur vernetzendes und ein kritisches Denken richtige Erkenntnisse und Einsichten vermittelt.
Die Fähigkeit, in Zusammenhängen auf unterschiedlichen Maßstabsebenen zu denken und zu argumentieren, stärkt auch die Bereitschaft schon der Schülerinnen und Schüler und erst recht der Bürgerinnen und Bürger zu kritischem Denken im Alltag, beispielsweise über die Herkunft und Vermarktung alltäglicher Produkte oder bei der ökonomischen und planerischen Entwicklung im Nahraum. Das könnte zu verstärkter Mitwirkung in der demokratischen Meinungsbildung führen. Die Förderung eines kritischen und vernetzten Denkens und die Anbahnung eines glokalen Bewusstseins erreicht man zusätzlich, wenn das Klassenzimmer verlassen wird. Dahinter steckt das Ziel einer aktiven, demokratischen Teilhabe und Mitwirkung an sozialen, raumplanerischen, umwelt- und raumpolitischen Entscheidungen.
Die Großmethode der Exkursion ist seit jeher mit dem Fach Geographie verbunden. Während es im Klassenzimmer um das Benennen von Dingen, das Äußern von Vermutungen und das Erklären von Zusammenhängen geht, eröffnet die Exkursion die Hinwendung zur Welt da draußen. Als weiteres Merkmal des Faches ist die Förderung der räumlichen Orientierungskompetenz zu nennen, die in den nationalen Bildungsstandards als ein eigener Kompetenzbereich ausgewiesen wird.
Demokratie braucht Geographie
Geographische Bildung stellt einen bedeutenden politischen Wert dar, weil sie eine ganzheitliche Betrachtung und Bewertung von politischem Handeln in verschiedenen Lebensräumen ermöglicht. Die Geographie untersucht lebensweltliche Phänomene hinsichtlich ihrer räumlichen Dimensionen. Der Fokus auf „Raum“ ist das, was das Fach Geographie von anderen Fächern unterscheidet. Geographie ist ein wesentliches Fach für die Bildung des Menschen, denn der Raum ist neben der Zeit die Grundkomponente des menschlichen Daseins.
Geographieunterricht liefert Orientierungswissen für das Verständnis globaler Zusammenhänge und wichtige Grundlagen für weitsichtiges politisches Handeln. Da viele politische Entscheidungen einen konkreten Raumbezug haben, ist geographisches Wissen politisch und politische Praxis geographisch. Und weil die drängenden Fragen unserer Zeit (z.B. Klimawandel, Erosion, Bevölkerungsdynamik, Armut, Migration) sich mit den Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf die Erde und mit den Rückwirkungen dieser Veränderungen auf die Gesellschaft befassen, kann sich Geographieunterricht in gesellschaftlichen Fragen gar nicht abstinent verhalten. Vielmehr gewährleistet geographische Bildung Handlungsfähigkeit im politischen Bereich.
Die gesellschaftliche Relevanz der Schulgeographie wird sehr eindrucksvoll durch eine aktuelle repräsentative Befragung von mehr als 800 Bundesbürgerinnen und –bürger zum Image des Geographieunterrichts unterstrichen (vgl. HEMMER, HEMMER & MIENER 2015, 49-53).
Bildung für nachhaltige Entwicklung ein Querschnittsanliegen der Geographie
Für die Gestaltung einer menschenwürdigen Zukunft braucht Wissen ein menschliches Maß. Wissen braucht Orientierung, weil reines raumbezogenes Fachwissen alleine nicht ausreicht für kompetentes, zum Beispiel umweltverantwortliches Handeln. Aufgrund der besonderen Verpflichtung zu einer Bildung für nachhaltige Entwicklung wird dem Geographieunterricht eine Werteorientierung – ein Mit-Wissen – gleich mitgeliefert. Kurz: Das Gewissen der Geographie ist die Nachhaltigkeit! Geographie ist Kernfach der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)!
„Sollen BNE beziehungsweise Umweltbewusstsein und -handeln im schulischen Kontext gestärkt werden, so kann dies insbesondere über das Fach Geografie gelingen“ (BILDUNG 2030, 68).
Stärke der Geographie
Das Schulfach Geographie ist das Zukunftsfach, weil wir die Lebenswelten der uns anvertrauten Schülerinnen und Schüler als Ausgangspunkte geographischer Bildungsprozesse ernst nehmen! Vernetztes und kritisches Denken im Geographieunterricht tragen zur Bildung einer persönlichen Meinung bei und führen zu einem kritischen Urteil, das für ein umwelt- und menschengerechtes Handeln erforderlich ist. So kann LADENTHIN (2010, 5) die Geographie als „Wissenschaft von den räumlichen und sozialen Bedingungen der Conditio Humana“ beschreiben.
Geographische Sachthemen, wie bspw. der Klimawandel, im komplexen Spannungsfeld der Mensch-Umwelt-Beziehung sind stets wertebeladen und bergen stets die Grundfrage, wie die Menschen leben sollten, damit sie menschlich – sinnvoll – leben können.
Schulgeographinnen und -geographen werden nicht müde das herausfordernde Mensch-Gesellschaft-Umwelt-Gefüge zu befragen: Warum, wozu, Mensch, greifst du in die Natur und in Lebenswelten ein? Wohin wird das führen? Was können wir tun? Lassen Sie uns darüber austauschen!
Literatur
Bildung 2030 – veränderte Welt. Fragen an die Bildungspolitik. Gutachten. Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (Hrsg.), Waxmann Verlag GmbH, Münster 2017.
Collins, J. & Osborne, L. (2019): Schüler in Berlin wollen Klimawandel im Lehrplan haben. Deutsche Welle vom 06.02.2019.
DGfG: Deutsche Gesellschaft für Geographie (Hrsg.) (2017): Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss mit Aufgabenbeispielen. 9. durchgesehene Aufl. Bonn: Selbstverlag der DGfG.
Heller, M. (2018): «Die Neugierde und der ganzheitliche Blick auf die Welt müssen möglichst lange erhalten bleiben». Zitat entnommen aus: Furger, M. & Burri, A. (2018): Schule der Zukunft: Diese sechs Kompetenzen sollten Kinder erwerben. NZZ-Artikel vom 29.12.2018.
Online abrufbar unter: https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/schule-der-zukunft-diese- sechs-kompetenzen-sollten-kinder-lernen-ld.1448177?reduced=true
Hemmer, I., Hemmer, M. & Miener, K. (2015): Das Image der Geographie – Schulfach. In: P. Gans & I. Hemmer (Hrsg.), Zum Image der Geographie in Deutschland. Ergebnisse einer empirischen Studie. (S. 48 – 63). Leipzig: Leibniz- Institut für Länderkunde e.V. (IfL).
Ladenthin, V. unter Mitarbeit von Coen, A. & Hoffmann, K. W. (2010): Werteerziehung im Geographieunterricht. In: Praxis Geographie 5/2010, (Themenheft: Kompetenzbereich Beurteilen und Bewerten, hrsg. von A. Coen, & K. W. Hoffmann), S. 4 – 6.