Bedenklicher Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen

„Vierter Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht” setzt auf ganzheitlichen Ansatz zur Bewegungs­förderung 

  • 80 Prozent der Heranwachsenden erreicht nicht die von der WHO empfohlenen 45 Minuten Bewegungszeit pro Tag
  • Inaktivität im Kindesalter hat gesundheitliche Konsequenzen und kann zu niedriger Lebenserwartung führen
  • Sport wirkt sich positiv auf chronisch kranke Kinder aus
  • Physical Literacy soll Leitprinzip im deutschen Kinder- und Jugendsport werden

Es gehört zum Grund­verständnis aller Menschen, dass Sport zu einer gesunden Lebensweise beiträgt. Dies gilt insbesondere für die Kindes- und Jugendentwicklung: Der natürlich gegebene Bewegungs­drang von Kindern ist die Voraussetzung für eine gesund­heitliche Entwicklung. Trotz allem steigt die Anzahl der Befunde, wie Übergewicht oder motorische Defizite, die auf ein unzureichendes Pensum an Bewegung bei Kindern und Jugendlichen hinweisen.

Der „Vierte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht”, der von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung initiiert wurde, verdeutlicht die Risiken von Inaktivität und diskutiert den Bedarf des Konzepts der Physical Literacy als ganzheitlichen Ansatz zur Bewegungs­förderung im Sinne einer bewegungsbezogenen Gesundheitskompetenz.

Bewegung im Entwicklungskontext

Wichtig für das Verständnis der kindlichen und jugendlichen Entwicklung ist, Kinder nicht als kleine Erwachsene zu kategorisieren. Entwicklungsprozesse körperlicher, psychischer und kognitiver Art können nicht einfach vom Erwachsenen auf den Heranwachsenden übertragen werden. Unabhängig davon ist in der Entwicklung von Kindern das Wechselspiel zwischen aktivem Handeln und Interaktion eines Individuums mit seiner Umwelt, an die es sich anpasst, ein entscheidender Faktor.

Gerade im Kindesalter spielt dabei die Rolle der Familie und im engeren Kreis der Eltern eine wichtige Funktion. Die familiäre Vorbildfunktion spielt eine entscheidende Rolle für die sportliche Entwicklung von Kindern. Doch auch Einflussfaktoren wie Kindertagesstätten und Kindergärten, Schulen oder das steigende digitale Angebot sind entscheidend für die Aktivität bzw. Inaktivität von Kindern und Jugendlichen. Denn:

Mehr als 80 Prozent der Heranwachsenden in Deutschland erfüllt die Bewegungs­empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO nicht. Besonders dramatisch trifft dies auf weibliche Jugendliche zu.

Vierter Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht

Für die einzelnen Altersgruppen lassen sich mitunter Bewegungsempfehlungen ableiten: Säuglinge und Kleinkinder sollten in ihrem natürlichen Bewegungsdrang nicht gehindert werden. Hier gilt es, Eltern bzw. Betreuungs­personen zu sensibilisieren. Für Kinder im Grundschulalter haben Studien herausgefunden, dass eine ausreichende Bewegung zu einer besseren Gewichtsentwicklung, aber auch zu Zufriedenheit und prosozialem Verhalten beitragen. Positiv beeinflussend wirken hier:

  • die Teilnahme am Sportunterricht,
  • die aktive Gestaltung des Schulwegs,
  • das Nachgehen von sportlichen Hobbies auch im familiären Kontext sowie
  • die Reduktion von Medienzeiten und Mediengeräten in Kinderschlafzimmern auf ein Minimum. 

Gesundheitliche Folgen von Inaktivität vs. Chancen von Bewegungsförderung 

Kinder und Jugendliche in Deutschland bewegen sich immer weniger und entwickeln als Folge davon immer mehr Überge­wicht. Das beeinträchtigt nicht nur die physische, psychische und soziale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, sondern könnte auch zu einer niedrigeren Lebenserwartung führen, wie dies z. B. Studien in den USA bereits gezeigt haben. Wir wissen heute erheblich mehr über den Gesund­heitsnutzen von Bewegung und Sport in Kindheit und Jugend als noch vor wenigen Jahren, z. B. über die Kommunikation der verschiedenen Organsysteme wie Muskel, Gehirn und Fettmasse sowie die zentrale Rolle von Sport und Bewegung in diesem Zusammenhang.

Fakt ist: Sport und Bewegung haben nicht nur einen physischen Nutzen, sondern auch positive Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. Besonders sinnvoll sind dabei Programme, die körperliche und koordinative Anforderungen miteinander kombinieren. Sport und Bewegung bieten auch Chancen für chronisch kranke Kinder und Jugendliche: In Abhängigkeit des jeweiligen Zustandes wirken Sport und Bewegung direkt positiv auf den Krankheitsverlauf und führen zu psychischer Stabilisierung, Steigerung der Lebensqualität sowie sozialer Integration. 

Physical Literacy als Leitprinzip im deutschen Kinder- und Jugendsport 

Gesundheitsorientierter Kinder- und Jugendsport in Deutschland sollte sich verstärkt am Konzept der Physical Literacy orientieren, so wie dies international bereits häufig üblich ist. Es sollte ein Grundpfeiler bzw. eine fest verankerte Zieldimension von Sportunterricht in Deutschland sein.

Im aktuellen wissenschaftlichen Kontext wird Physical Literacy als bewegungsbezogene Gesundheitskompetenz diskutiert. Der Begriff „Literacy” meint die Fähigkeit des Lesens und Schreibens sowie auch das Text- und Sinnverständnis, Vertrautheit mit Literatur und anderen schriftbezogenen Medien (inkl. Internet) und die Kompetenzen im Umgang mit der Schriftsprache. Schon vor einigen Jahren wurde hiervon ausgehend der Begriff „Health Literacy” geprägt. Zunächst schrieb die wissenschaftliche Forschung diesem Begriff die kognitive und soziale Fähigkeit zu, die eine Person dazu befähigt, Zugang zu (medizinischen) Informationen zu erhalten, zu verstehen und gesundheitsförderlich zu nutzen. Mittlerweile wird der Begriff vielmehr mit der kritischen Analyse und der Bewertung von (medizinischen) Informa­ tionen in Verbindung gebracht, wodurch die Gesundheits­ kompetenz und die Bildung in einem Zusammenhang stehen. In Weiterentwicklung zur Physical Literacy werden jene Bereiche erfasst, die zu einem aktiven Lebensstil beitragen. 

Hierzu gehören neben der Motivation und der Selbstwirk­samkeit auch das Wissen über den (gesundheitlichen) Nutzen. Physical Literacy hat daher eine erhebliche Bedeutung für den Kinder- und Jugendsportbereich. 

Der „Vierte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht” fordert, die praktische Umsetzung des Konzepts weiter auszuarbeiten. Denkbar ist die Vermittlung einer entsprechenden Grundhaltung, so dass die Selbstwirksamkeit, Motivation und vor allem auch das Vertrauen in die sportliche Betätigung zu einem besseren Verständnis für den gesundheitsbringenden Nutzen beiträgt. Hierzu benötigt es, so der Bericht, qualifiziertes Personal, damit Kinder und Jugendliche eigeninitiativ und vor allem spielerisch ihren Alltag mit Bewegungsfreude gestalten möchten. Daneben sollten auch Eltern den gesundheitsbewussten Bewegungs­drang ihrer Kinder fördern, um die Vorbildfunktion in der frühen Entwicklung zu nutzen. 

Dies ist eine Presseinformation der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Der vierte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht wurde in Zusammenarbeit mit der Sporthochschule Köln erstellt. 

Wir brauchen mehr Sport in den Schulen

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ermittelt, dass Menschen in Deutschland sich viel zu wenig bewegen. Dabei würde ein Mindestmaß an Bewegung schon reichen, “um Diabetes vorzubeugen, Krebs vorzubeugen, Herzinfarkten vorzubeugen”. Der Sportwissenschaftler Prof. Ingo Froböse von der Sporthochschule Köln analysiert die Gründe für den Bewegungsmangel und fordert mehr Sport in den Schulen.

“Wir haben noch nie so viele Altersdiabetes im Kinder- und Jugendlichen-Bereich gehabt. Wir haben Schlaganfälle, Herzinfarkte, hohen Blutdruck bei Kindern und Jugendlichen. Da schauen wir einfach hin und da kann körperliche Aktivität so wunderbar helfen, und das machen wir nicht. Das ist eine große Gefahr für die gesamte Gesellschaft.”

Hören oder lesen Sie darüber, wie viele positive Effekte mehr Sport in der Schule (und zu Hause) für unsere Kinder hätte in dem sehr interessanten Interview beim Deutschlandfunk: “ Die tägliche Sportstunde ist notwendig“.